Prince Henri Auditoire 02 BW

Neun Monate Erfahrung im Europäischen System der Zentralbanken - Yves Mersch

Finanzmarktforum Luxemburg

Luxemburg, den 14. Oktober 1999

Der Nachdruck ist unter Angabe der Quelle gestattet

Inhaltsverzeichnis

1.   Vorarbeit

Bilanz der ersten neun Monate des Euro ziehen ohne die sechs Monate Anlaufzeit der EZB zu erwähnen wäre in meinen Augen ein wenig unfair. Die Vorarbeit, die schon im Europäischen Währungsinstitut geleistet wurde, besonders auf institutionneller, organisationneller und reglementarischer Basis, fügt sich nämlich nahtlos in die ersten Monate des operationnellen Erscheinens des Euro ein.

  1. Ungefähr genau vor einem Jahr wurde nämlich der institutionnelle Unterbau des Entscheidungsgremiums des Gouverneursrates verabschiedet. Dieser Unterbau ist grösstenteils auch derjenige, der dem General Council zuarbeitet. Er wird getragen von 13 Ausschüssen. Die meisten Ausschüsse werden von der EZB-Zentrale präsidiert. Der Haushaltsausschuss, das International Relations Committee und der Ausschuss für Bankenaufsicht werden allerdings von Vertretern der nationalen Zentralbanken präsidiert. Diese Ausschüsse haben wiederum eine ganze Reihe von Unterarbeitsgruppen. So sind im rechtlichen und im Bankenaufsichtsbereich je 2 Arbeitsgruppen aktiv, im Bereich Rechnungswesen und monetäre Einkünfte 3 Arbeitsgruppen, je 6 für den geldpolitischen Ausschuss, den Ausschuss für Zahlungs- und Verrechnungssysteme und den Ausschuss der internen Revision, 7 im statistischen Bereich und ebenso viele im Ausschuss für Marktoperationen, 8 im Information Technology Committee, und sogar 12 im Banknoten-Ausschuss. Eine Reihe von diesen Arbeitsgruppen sind natürlich doppelt besetzt oder sind gemeinsame Arbeitsgruppen von 2 verschiedenen Ausschüssen. Im Ganzen ergibt das rund 80 Arbeitsgruppen und Unterarbeitsgruppen, die von den nationalen Zentralbanken zusammen mit der EZB besetzt werden. Wenn ich jetzt die Arbeitsgruppen im Währungsbereich auf EU-Ebene, in der BIZ, sowie auch zusätzliche interne Arbeitsgruppen dazu zähle, komme ich für eine nationale Zentralbank wie die luxemburgische auf mehr Arbeitsgruppen als wir Mitarbeiter haben, nämlich weit über 170. Deshalb ist auch nicht verwunderlich, dass die Europäische Zentralbank über diese Anfangsphase von etwas über 400 auf jetzt über 700 Mitarbeiter angestiegen ist, und dass dieses Wachstum auch als tendenziell weiter nach Norden zeigend erachtet wird. Für Luxemburg, wo ein großer Teil der Entscheidungsträger noch immer nicht so richtig weiss was sie mit einer Zentralbank anfangen soll, haben wir natürlich pro Kopf der Bevölkerung mit 160 Mitarbeitern einen überdurchschnittlich hohen Personalbestand. Wenn man jedoch die Zahl der Mitarbeiter mit der Bilanzsumme der Zentralbanken vergleicht, liegt Luxemburg weit am unteren Ende der Beschäftigungsskala.
  2. Vor einem Jahr wurden auch die Weichen im organisationnellen Bereich gesetzt. So wurde schon bei der ersten EZB-Ratssitzung festgehalten, dass die Sitzordnung im EZB-Rat nicht nach der alphabetischen Reihenfolge der Euro-Länder, sondern der Namen der Mitglieder des EZB-Rates zu geschehen haben soll, da ein jeder Verantwortung für den ganzen Euro-Raum trägt und nicht nur für sein eigenes Land. Eine zweite Entscheidung betraf die Zahl der Sitzungen. Der Frequenztakt von 14 Tagen hat sich bis heute bewährt und erlaubt dem Artikel 12 der Statuten gerecht zu werden: "12.1. Der EZB-Rat erlässt die Leitlinien und Entscheidungen, die notwendig sind, um die Erfüllung der dem ESZB übertragenen Aufgaben zu gewährleisten. Der EZB-Rat legt die Geldpolitik der Gemeinschaft fest, gegebenenfalls einschliesslich von Entscheidungen im bezug auf geldpolitische Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im ESZB, und erlässt die für ihre Ausführung notwendigen Leitlinien." Gegen Ende des Jahres wurden auch verschiedene Entschlüsse gefasst, die die Transparenz der Entscheidungen des EZB-Rates betreffen, und die Anlass zu einer Reihe von Kommentaren und auch einigen Polemiken gaben. Das Ziel des EZB-Rates in dieser Hinsicht war nie ein Weniger an Information bereitzustellen, sondern die Kollegialität und einheitliche Beschlussfassung des Rates zu gewährleisten. Aus dieser Einsicht heraus gibt das Euro-System mehr und schneller Information bereit als andere Zentralbanken, die sich schwer tun, die Sitzungsprotokolle mit individuellem Stimmverhalten mit einiger Verspätung, und wohl etwas bereinigt, herauszugeben. Die regelmässigen Pressekonferenzen im Anschluss an die Sitzungen des EZB-Rates mit einer klaren Kommunikation der eben getroffenen Entscheidungen und die Anbindung dieser Entscheidungen an eine vorher mitgeteilte Strategie, müssten der Anforderung an Transparenz und Rechenschaftspflicht entsprechen, besonders wenn diese Entscheidungen weiterhin in den monatlichen Bulletins untermauert werden. Man darf allerdings nicht unterschätzen, daß das Euro-System 11 verschiedenen Nationen eine Entscheidung nach dem jeweiligen wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld zugänglich machen muss, und die Motivation kann durch verschiedene Währungsgeschichten und Traditionen beeinflusst werden. Deshalb war es wichtig, dass wir vor einem Jahr schon eine gangbare Lösung gefunden haben was die Kommunikation, d.h. die Sprachennutzung innerhalb des EZB-Rates ausmacht. In dieser Hinsicht bin ich froh, dass ich in diesen Sitzungen als Luxemburger ohne Kopfhörer auskommen kann. Die Idee hinter diesem organisationnellen Aufbau war also eine sehr starke Individualisierung im EZB-Rat im Gegensatz zu einem organisationnellen Aufbau, der mehr Gewicht auf die institutionnelle Vertretung verschiedener nationaler Zentralbanken gelegt hätte, die dem Geist des Vertrages entgegen gelaufen wäre insofern die Eigenverantwortung der einzelnen Mitglieder eingebunden worden wäre in die Verantwortung gegenüber nationalen Gremien und nationalen Größenordnungen. Dem Prinzip "one man, one vote" wurde also in dieser Hinsicht voll Rechnung getragen.
  3. Auch auf reglementarischer Ebene wurden die ersten 6 Monate voll genützt um die notwendigen Fundamente zu giessen. Diese Arbeit hat sich natürlich niedergeschlagen in den allgemeinen Regelungen, die im September 1998 veröffentlicht wurden, und die wesentliche Neuerungen beinhalteten gegenüber der vom EWI erstellten Version.
  • Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass das von der EZB eingeführte Mindestreservesystem, das ja für Luxemburg eine grosse Neuerung darstellte, primär 2 geldpolitischen Funktionen dienen soll: 1. der Stabilisierung der Geldmarktsätze und 2. der Verstärkung der strukturellen Liquiditätsknappheit im Bankensystem. Die Stabilisierungsfunktion soll den Kreditinstituten mehr Flexibilität bei der täglichen Liquiditätssteuerung einräumen und ihnen erlauben kurzfristige Arbitragemöglichkeiten am Geldmarkt zu nutzen. Durch die Durchschnittserfüllung werden auch weniger Zentralbankinterventionen am Markt zur Feinsteuerung erforderlich sein. Am 1. Dezember 1998 erließ der EZB-Rat die Verorderung über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht die in rechtlich bindender Form die Grundzüge des angewandten Mindestreservesystems festlegt, die zum Durchschnittssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Euro-Systems verzinst wird und sich damit im Rahmen der Marktverhältnisse bewegt.
  • Weiterhin wurden die wichtigsten Arten von Offenmarktgeschäften zurückbehalten. Zum einen die Hauptrefinanzierungsgeschäfte die wöchentlich durchgeführt werden und eine Laufzeit von zwei Wochen haben, und andererseits die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von drei Monaten die monatlich abgewickelt werden. Diese hauptsächlichen Geschäfte werden mit zwei ständigen Fazilitäten, der Spitzenrefinanzierungsfazilität und der Einlagenfazilität vervollständigt.
  • Vor genau einem Jahr, am 13. Oktober 1998, stellte der EZB-Rat die Hauptelemente der stabilitätsorientierten geldpolitischen Strategie des Euro-Systems vor, die übrigens im ersten Monatsbericht der EZB im Detail beschrieben sind : mit der Veröffentlichung einer quantitativen Definition des vorrangigen Ziels der Geldpolitik, der Preisstabilität, und den zwei Säulen der Strategie, die zur Erreichung dieses Ziels dienen. Die erste Säule ist die Geldmenge, der eine herausragende Rolle beigemessen wird, was sich in der Bekanntgabe eines Referenzwertes für das Wachstum eines weitgefassten Geldmengenaggregats niederschlägt. Die zweite Säule besteht in der umfassenden Beurteilung der künftigen Preisentwicklung und der Risiken für die Preisstabilität im Euroraum. Damit hat sich das Eurosystem klar nicht für ein Inflationsobjektiv ausgesprochen, sondern für ein symetrisches Ziel der Preisstabilität das sowohl inflationären wie deflationären Tendenzen gegensteuern muß um, mittelfristig gesehen, so zu einem gesunden längerfristigen Wachstum beizutragen.
  • Die statistischen Anforderungen für die Ausgestaltung der einheitlichen Geldpolitik und die Durchführung von Devisenmarktoperationen waren schon im Juli 1996 vom EWI den Bankenverbänden bereitgestellt worden. Diese Anforderungen beinhalteten sowohl Geld-und Bankenstatistiken wie auch Zahlungsbilanzstatistiken und Finanzierungsrechnungen sowie andere Wirtschafts- und Finanzstatistiken.
  • Die grösste Anforderung Ende des letzten Jahres bestand jedoch in der Implementierung des Targetsystems. Die letzte Testreihe des Übergangs zum Testbetrieb fand im November und Dezember 1998 statt. Die Beurteilung der EU Wertpapierabrechnungssysteme anhand bestimmter Richtlinien auf ihre Eignung für die Durchführung der Kreditgeschäfte des Eurosystems sowie die Beurteilung der Verbindungen zwischen der europäischen Wertpapierabrechnungssysteme sind allerdings immer noch nicht vollständig abgeschlossen. Und auch die Implementierung des Korrespondenzzentralbankmodells zur grenzüberschreitenden Nutzung von Sicherheiten zwischen Zentralbanken, das einen transitorischen Charakter haben soll, wurde inzwischen vorerst noch einmal verlängert.

2.   Einschätzung

Wenn man jetzt zur Einschätzung dieses Aufbaus für die Anfangsphase schreitet, muss man dem System zugestehen, dass sich die enorme Vorbereitungsarbeit im operativen Teil weitgehend bewährt hat. Wenn auch im Target noch nicht alle Links begutachtet wurden, werden jetzt schon zu den verschiedenen Entscheidungen der Anfangsphase teilweise Überlegungen für die Notwendigkeit von Anpassungen geführt.

  1. Wenn ich das gleiche Raster anwende wie vorher, und zuerst auf das Institutionnelle eingehe, so kommt wohl nur eine Änderung im Institutionnellen in Frage durch eine Abänderung des Vertrages, in der Diskussion über die Erweiterung der EU. In diesem Zusammenhang muss sich natürlich die Frage stellen, ob eine Vertiefung der europäischen Integration vor einer Erweiterung wie sie bisher immer angemahnt wurde nicht zur Konsolidierung der Einheitswährung beitragen würde, eher als eine überhastete Erweiterung, die die institutionnelle Effizienz, die im Moment gegeben ist in Frage stellen könnte und im gleichen Augenblick auch das Objektiv der Preisstabilität antasten könnte. Aus einer anderen Sicht könnte man hinterfragen ob verschiedene Äusserungen, in Richtung auf institutionnelle Anpassungen nicht ausserhalb des Kompetenzrahmens des Eurosystems angesiedelt werden müssen. Auf jeden Fall kann sich auf diese Äusserungen das Solidaritäts- und Kollegialprinzip des Eurosystems nicht mehr anwenden. Man möchte in dieser Hinsicht nur erinnern, dass wenn man auf der einen Seite die Schwierigkeiten anmahnt die durch Vielstaaterei die Effizienz eines Systems beeinträchtigen könnten, man auch darauf hinweisen muss, dass Vielstaaterei in Europa schon einmal zu einem Direktorium der Grossmächte geführt hat, das Europa über Allianzen, Allianzabänderungen und schlussendlich zu Konflikten geführt hat, und dass die Grundlage des EU-Gedankens nicht auf Vormachtstellung noch Bevölkerungszahl beruht, sondern der Motor der Integration auch von den Kleinstaaten geölt wurde. Man muss also hier sowohl das Zurückverfallen in heilige und unheilige Allianzen verhindern, wie auch eine Antwort auf Kleinstaaterei finden. Wenn man als einziges Kriterium funktionnelle Effizienz anmahnt, dann wäre es wohl besser, man würde die Europäische Zentralbank einem einzigen Land überlassen, das sich mit keinem abzusprechen bräuchte. In dieser Diskussion sollen die Grundelemente des europäischen Integrationsgedankens, inklusiv des Representativitätsgedankens einfliessen. Besonders wenn man die Ueberzeugung teilt, dass auf Dauer eine Währungsunion nur Bestand hat, wenn sie auch durch Fortschritt in der politischen Integration untermauert wird.
  2. Vom organisationnellen Standpunkt her, wird die Zukunft auch zwei gegensätzliche Tendenzen vorzeigen: die erste zur Zentralisierung und die zweite die Resistenz der Dezentralisierung. Während die Märkte normalerweise durch die Einführung einer Einheitswährung endlich die Vorteile eines europäischen Einheitsmarktes sehen sollten, könnte eine Zentralisierung der Märkte auch durch Überegulierung der Finanzinstitute weitergetrieben werden. Die Desintermediationstendenz wird natürlich auch durch die Globalisierungbestrebungen geleitet.

In dieser Hinsicht ist es interessant die Fortschritte im Finanzbereich etwas näher zu beleuchten. Bezogen auf die weltweit ausstehenden Anleiheverbindlichkeiten hat die EWU einen Marktanteil der ungefähr so gross ist wie der der Euro-zone im weltweiten Bruttosozialprodukt, nämlich 22,5%. In Europa ist allerdings der Anteil an Auslandsverbindlichkeiten grösser, und die Inlandsverbindlichkeiten oder die Rentenmarktkapitalisierung hinkt deutlich hinter der Entwicklung in den USA und Japan hinterher mit ungefähr 6,4 Trillionen Euro für die EWU, verglichen mit 12,5 Trillionen Euro für die USA und 4,7 für Japan.

In den ersten 9 Monaten kann man allerdings feststellen, dass die verbreiterte Investorenbasis zur einer Ausweitung der Emissionstätigkeit der Kapitalnachfrage im Euro-Raum genützt wurde. Die Unternehmen haben somit schneller als erwartet die Möglichkeiten zur direkten Mittelbeschaffung an den zunehmend besser integrierten Finanzmärkten des Euro-Raumes genutzt. Der Euro hat mittlerweile als internationale Emissionswährung bei den Neuemissionen mit dem Dollar gleichgezogen oder ihn sogar übertroffen.

Auch bei den Aktienmärkten liegt das Potenzial des EWU-Raumes noch in der Zukunft. Auch wenn in diesem Bereich Messungen durch die grosse Volatilität an den Börsen schwierig ist, kann man feststellen, dass in Europa die Marktkapitalisierung weniger als 70% des Bruttoinlandsproduktes ausmacht mit ungefähr 4 Trilliarden Euro, während diese Ziffer in Amerika ungefähr 16 Trilliarden Euro ausmacht, was eine Marktkapitalisierung, im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt, von fast 200% ausmacht. In Japan liegt die Marktkapitalisierung nominell ungefähr auf dem gleichen Niveau wie in Europa gegenüber allerdings einem Bruttosozialprodukt das deutlich niedriger ist.

Die jüngsten Entscheidungen der Börsen des Euro-Raums erinnern mich an das Börsenbild Deutschlands vor 15 Jahren. Als ich Kommissar an der Luxemburger Börse war hat ein Familienfreund mir alte Stiche geschenkt, die die Börsen des deutschen Wirtschaftsraumes darstellten. Die Bilder reichten untereinander gereiht vom Fussboden bis zur Decke. Ob diese Landschaft im Euroland ohne Wechselkursrisiko bestand haben wird, wird die Zukunft zeigen.

Auf der Abwicklungsseite stehen im Moment wenigstens zwei Modelle im Raum : zum einen ein zentralisiertes System mit einer einheitlichen Plattform; zum anderen ein System, das nationale Verrechnungspläne untereinander verbindet was manchmal als "Spaghetti Factory" beschrieben wird .

In anderen Bereichen wird die Zentralisierung den Europäern von Amerikanern vorgemacht (siehe Beispiel CLS). Man darf also die Resistenz gegenüber Zentralisierungsbestrebungen nicht unterschätzen. Man sieht in dieser Hinsicht auch wie die Bankenfusionen vor allem auf nationaler Ebene vorgenommen werden, auch wenn es vielleicht nur ein erster Schritt für grenzüberschreitende Bankenkonstellationen andeutet. Allein durch die Globalisierung sind die Grenzen zwischen vordem getrennten nationalen Kapitalmärkten obsolet geworden.

Das sollte auch das Überdenken der Überwachungsfunktion des Finanzsektors bewirken unter Berücksichtigung der Möglichkeit eines "regulatory arbitrage".

In diesem Zusammenhang ist die Diskussion über die Trennung von Zentralbankfunktion und Überwachungsfunktion zu sehen, die in verschiedenen Ländern noch nicht abgeschlossen ist, und in Ländern wo sie vorgenommen wurde schon wieder in Frage gestellt wird. So lange diese Diskussion auf nationaler Ebene nicht abgeschlossen ist, ist es meines Erachtens auch verfrüht sich über eine Übertragung auf die europäische Ebene den Kopf zu zerbrechen.

Eine noch einfachere Möglichkeit den Trend zur Zentralisierung zu beobachten wird natürlich die sein den Anstieg der Zahl der Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank zu verfolgen. Mit dieser Zahl werden die Zahl der Sitzungen und die Zahl der Arbeitsgruppen auch ansteigen. Allerdings sollte der Ansatz zur Zentralisierung auf institutionneller Ebene schon vom Markt herkommen. Je schneller ein richtig europäischer Markt entsteht, umso grösser der Druck diesem auch auf zentraler Ebene geeignete Lösungen entgegenzubringen. Aber auch in diesem Kontext darf man nicht vergessen, dass es Vorteile gibt in den verschiedenen Bereichen den Entscheidungsmechanismus oder das Umsetzen der Entscheidungen in einer grösstmöglichen geographischen Nähe zu vollziehen.

3.   Anforderungen

Man darf nicht vergessen, dass Vorrangigkeit der Subsidiarität einem Grundprinzip des europäischen Gedankens entspricht, und dass eine wirklich gleiche Behandlung von sämtlichen Marktteilnehmern unabhängig von ihrer Grösse nur in mit einem dezentralen Aufbau möglich ist. Man könnte sich gut vorstellen, dass der Weg in die Zukunft nicht ein linearer zu mehr Zentralisierung ist, sondern ein modularer, je nach den verschiedenen Funktionen, die eine Zentralbank wahrnimmt.

  1. Wenn man die Problematik von dieser Betrachtungsweise ansteuert, ist die vorrangige Arbeit der Zentralbank natürlich die Geldpolitik, die heute schon weitgehend zentral entschieden und dezentral ausgeführt wird. In diesem Zusammenhang sei zu bemerken, dass wohl nur einige Abänderungen auf Grund der bisherigen Erfahrungen erfolgen werden und keine durchgreifenden Umwälzungen.
  • Das Mindestreservesystem hat mit seiner Durchführung zu einer Glättung der Entwicklung am Tagesgeldmarkt beigetragen, so dass auf die Durchführung von Feinsteuerungsmassnahmen verzichtet werden konnte. Änderungen könnten höchstens im Bereich der Anpassung des Pauschbetrages kommen.
  • Einige Diskussionen gab es bei der Liquiditätssteuerung. Das Eurosystem muss im Prinzip den Liquiditätsbedarf des Bankensystems, die Reserven und die darüber hinaus benötigte Liquidität decken. Über die ersten 9 Monate hat die Erfahrung gelehrt, dass das System im Durchschnitt höhere Liquiditätsbestände gehalten hat als für die Mindestreservepflicht benötigt wird, oder dass in Europa ein Nachfrageüberschuss nach Reserven besteht. Dieser Überschuss hat sich allerdings von Anfang des Jahres bis zur Mitte des Jahres halbiert, wovon man auch auf eine effizientere Liquiditätssteuerung des Bankensystems schliessen kann. Auch wenn man bei einer höheren Liquidität von niedrigeren Übernachtzinsen ausgehen kann, konnte man bei verschiedenen Gelegenheiten beobachten, dass diese Relation zwischen Preis und Quantität sich nicht immer bewahrheitet hat. Eine zusätzliche Beobachtungsperiode sollte man sich trotzdem in diesem Zusammenhang in einer Anfangsphase geben. Diskussionen hat es im Zusammenhang mit dem Bietungsverhalten der Finanzinstitute gegeben. Stabile Zuteilungsraten sind natürlich wünschenswert, aber nicht das vorrangige Ziel der Liquiditätssteuerung. Jede Aktion in diesem Sinne muss zuerst abgewägt werden auf die Nebeneffekte für die Steuerung der kurzfristigen Zinsen, weshalb in diesem Bereich eine sehr grosse Vorsicht geboten ist. Um das Overbiddingproblem zu lösen, wird seit einiger Zeit die Möglichkeit eines Übergangs vom Mengentender auf einen Zinstender in Rede gebracht. Wenn verschiedene Optionen als Folge erhöhte Schwankungen im Übernachtzins nach sich ziehen würden, wäre das System gezwungen Feinsteuerungsinstrumente einzuführen mit denen vor allem Zentralbanken in kleineren Ländern in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt haben, die aber nicht ohne weiteres auf einen weiteren geldpolitischen Raum übertragen werden können. Neueste Erkenntnisse zeigen eindeutig, dass mit einem Mengentender die Präzision des Liquiditätsangebotes genauer ist und deshalb auch die Übernachtzinsen stabilisiert werden. Dieser Vorteil wird natürlich bei einer 100% Zuteilungspolitik verloren. Man kann auch mit einem Zinstender die gleichen Vorteile erreichen wenn der Zinstender von einer Vorausveröffentlichung der Zuteilungsmenge begleitet ist sowie einer Angabe für das operationnelle Ziel des Zinssatzes. Die Transparenz und die Klarheit der Signale sind im Allgemeinen besser bei einem Mengentender, aber wiederum können die gleichen Resultate durch eine gezielte Veröffentlichungspolitik auch mit einem Zinstender erreicht werden. Der EZB-Rat wird die Frage weiterhin vertiefen und nicht zu einem überhasteten Abschluss in dieser delikaten Frage kommen. Die Verstetigung des Zinssatzes durch die Durchschnittserfüllung im Mindestreservesystem lässt natürlich gegen Ende der "maintenance period" nach. Auch in diesem Zusammenhang sind Überlegungen im Gange wie weit die grössere Inanspruchnahme der ständigen Fazilität gegen Ende der Reserveperiode und damit auch die grössere Volatilität in den Übernachtzinsen ein Störfaktor ist, dem eventuell durch Feinsteuerungsmechanismen entgegengewirkt werden muss oder nicht.
  • Ein drittes Element, das eher in den akademischen Kreisen zur Diskussion stand, ist die geldpolitische Strategie, insbesondere da darauf verwiesen wurde, dass die bestehende Strategie einen relativ breiten Ermessungsspielraum anbietet im Zusammenhang mit der ungenügend statistischen Tiefe von Euro-Raum-Statistiken. Auch wenn der Referenzwert für M3 nach einem Jahr Erfahrung andiskutiert werden wird, so besteht im Moment kein Anlass zu einem Umdenken der 2-Säulen-Strategie. Der Referenzwert wird entschieden werden auf Grund der Daten über das mittelfristige Trend-Wachstum im realen BSP und die Velozität des Geldumlaufes. Mit dieser monetären Analyse werden auch die Preisentwicklungen auf Grund von einer breiten Palette von Indikatoren und Inflationsprognosen innerhalb und ausserhalb des Eurosystems zur Hand genommen werden. Was die Veröffentlichung von solchen Prognosen anbelangt, möchte ich hier Professor Remsperger zitieren, der kürzlich geschrieben hat: "Der Glaube an die Prognostizierbarkeit eines Zinsschrittes durch die Veröffentlichung von Inflationsprognosen gleicht dem Versuch beim Fussball aus der genauen Positionschnelligkeit der Spieler, aus ihrer Schrittlänge, aus der Windgeschwindigkeit, der Beschaffenheit des Fussballfeldes und aus dem Drehimpuls des Balles in der ersten Halbzeit voraussagen zu wollen, dass in der 12. Minute der zweiten Halbzeit ein Treffer in die linke Torecke fällt."

Die zweite Funktion der Europäischen Zentralbank ist die Sicherung eines reibungslosen Funktionierens des Zahlungssystems. Ich erinnere, dass Target mit 3 Hauptobjektiven gegründet wurde:

  • einen sicheren und verlässlichen Mechanismus für die Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen anzubieten
  • die Effizienz grenzüberschreitender Zahlungen zu erhöhen und
  • den Anforderungen der Geldpolitik des Euro-systems zu dienen.

Nach einer Woche schon hatte das System sich auf ungefähr 20-30.000 Transaktionen pro Tag mit einem Volumen zwischen 300 und 400 Milliarden Euro eingependelt. Der grenzüberschreitende Targetverkehr entspricht nach den ersten 9 Monaten 10% sämtlicher Zahlungen, die in "large value Euro payment systems" vorgenommen werden und 27% des Gesamtwertes, voraus sich ergibt, dass besonders die grösseren Beträge über Target abgewickelt werden. Der durchschnittliche Werte von einzelnen Zahlungen war im Juli 1999 fast 12 Millionen Euro, das ist 3-5 mal höher als die Werte für andere Systeme. Daraus kann man schliessen, dass Target dem Objektiv der Währungspolitik gerecht wird. 34.000 Banken oder Bankenstellen können über Target erreicht werden, und Messungen haben ergeben, dass eine Zahlung im Durchschnitt in anderthalb bis 6 Minuten abgewickelt werden kann. Auch das sollte den Marktansprüchen genügen, auch wenn bei dem Endabnehmer manchmal Fragen entstehen über Faktoren, die ausserhalb der Kontrolle von Target liegen, wie zum Beispiel die Abwicklungszeiten von Zwischenstellen oder die Liquiditätssteuerung.

Eine dritte Funktion des ESZB liegt in der Erhebung von statistischen Daten. In diesem Bereich wurde viele und weitere Arbeit in den ersten 9 Monaten dieses Jahres geleistet, besonders im Bereich Geld- und Bankenstatistik sowie Zahlungsbilanzstatistik. Es wird nötig sein für diese Arbeit weitere Ressourcen freizusetzen, sowohl in der Europäischen Zentralbank wie auch in den nationalen Zentralbanken.

Eine letzte Aufgabe von Zentralbanken besteht in der Herausgabe von Banknoten und Münzen. Im Hinblick auf die Einführung des Euro wird diese Arbeit minutiös weitergeführt um eine reibungslose Einführung der 13 Milliarden Banknoten in Europa zu erreichen. In Luxemburg werden 46 Tonnen Banknoten in Euro eingeführt, was den 46 Millionen Scheinen in Euro entspricht, und ungefähr bis 40 Millionen bestehende Scheine zurückgenommen. Zu diesen Scheinen kommen die Münzen, die in Luxemburg 120 Millionen darstellen was einem Gewicht von 553 Tonnen entspricht. Diese Zahlen entsprechen der Einführung der Euromünzen und müssen von den Zahlen des Rückflusses der nationalen Münzen ergänzt werden, das heisst 160 Millionen Münzen was einem Gewicht von 658 Tonnen entspricht. Im Ganzen werden also in den Wochen des "changeover" über 1.300 Tonnen Geld in Luxemburg transportiert werden müssen, wozu nahe an 8000 Transporte benötigt werden.

Wenn diese luxemburgischen Zahlen Sie nicht beeindrucken, bedenken Sie dass der Finanzplatz Luxemburg im Liquiditätbereich ein Zwanzigstel des Euroraums darstellt, das Ratio der luxemburgischen Banknoten jedoch im Euroraum im Verhältnis von 1:250 steht.

Das Ganze stellt natürlich eine Anforderung an die Logistik dar und an das Zusammenwirken der Transportfirmen, der Geldinstitute und der Zentralbank. Wir sind in Luxemburg dabei einen detaillierten Stabsplan aufzustellen mit den verfügbaren Spezialwagen der Transportfirmen, der Ladekapizität, des Versicherungslimits und einer möglichst effizienten Benutzung der verfügbaren Logistik.

Unsere augenblickliche Berechnungen deuten darauf hin, dass wir für den Rückfluss und die Eingabe von neuen Scheinen ungefähr 7 theoretische Tage benötigen, während das Ausmass der Münzen 50 bis 60 Tage beanspruchen könnte. In diesem Zusammenhang versuchen wir diese letzte theoretische Ziffer durch eine optimale Organisation zurückzuführen.

Auch wenn auf der Ebene des Eurosystems die Arbeitsgruppe "Banknotes" die grösste Anzahl von Untergruppen unterhält, bleibt die Hauptlast der Umsetzung auf nationaler Ebene. In diesem Bereich erfüllt es mich mit besonderer Zufriedenheit festzustellen, dass die neu gegründete Luxemburger Zentralbank mit der rasanten Entwicklung auf europäischer Ebene standhalten konnte, und wie in sämtlichen anderen Funktionen sich nahtlos in das Euro-system eingefügthat.